Klima-Psalm-Klage - von Marike Völkerding
Die Psalmbeterin sinkt auf die Knie. Sie stammelt. „Gott, warum bist du so weit weg?“ (Psalm 10,1a)
Ihre Stimme ist brüchig, sie sitzt auf dem harten Steinboden, ihr Oberkörper nach vorne gebeugt.
„Gott, warum bist du nicht zu sehen, wenn ich dich brauche? -Wenn WIR dich brauchen? Die Arroganz der einen, lässt die anderen verelenden.
Intrigen, Gewalt, Prahlerei, Gier- Die Habgierigen lästern Gott, die Gewalttätigen sagen: Gottes Wutschnauben ist weit weg. Gott gibt es eh nicht. Gott interessierts eh nicht, so denken die. Und der Erfolg gibt ihnen Recht, sie spüren ja keine Konsequenzen! Sie denken bei sich: Mich wird’s ja nicht treffen! Sie lügen sich und uns an!“ (Nach Psalm 10,1b-6)
Sie schreit und spuckt die Worte hinaus- ihre Wut ist entbrannt, sie schlägt mit den Händen auf den Steinboden. Ihr Gesicht ist verzehrt, die Tränen laufen.
-Sie klagt. Sie klagt sich die Trauer und Bedrängnis aus dem Leib. Sie fühlt sich überwältigt von ihrer Ohnmacht, kann nichts tun, ihr sind die Hände gebunden- so fühlt es sich an. Sie tut soviel sie kann. Sie versucht alles richtig zu machen, nicht Teil des Unrechtsystems zu sein und ist doch so gefangen und verheddert, sie ist Teil vom Problem- und doch kämpft sie-
„Gott, warum bist du nicht zu sehen, wenn ich dich brauche- Warum tust du nichts?“
Es muss etwas geschehen! Jetzt bald! Sonst gibt es kein zurück mehr- für niemanden von uns- obwohl- ein zurück gibt es schon nicht mehr.
Die Frage heute ist eher: Wie schlimm wird es noch? Sie hat viel zu lange damit gewartet ihre Stimme zu erheben. Sie hatte sich nicht getraut, hatte sich schuldig gefühlt. In ihrer Brust war die Angst gewachsen wie ein Knoten, es fiel schwer zu atmen.
Doch jetzt kam alles auf einmal aus ihr heraus: Die unglaubliche Wut, die Trauer, die Angst, die Ohnmacht, die Hoffnung. Sie schrie und brüllte, sie schlug um sich.
„Gott, du treuer Gott! Du Schöpfergott! Wie kannst du es ertragen, dass sich die Habgierigen am Werk deiner Hände vergehen?“
Gott musste doch ebenso trauern wie sie? War es Gott nicht gewesen, die allem Sein Leben eingehaucht hatte: Atem, Grünkratf, Lebendigkeit?
Das große Du, das Gegenüber, immer ansprechbar, mit allen und allem in Verbindung, musste doch ebenso zornig sein über all den Tod und das Verderben, das durch das Handeln der Habgierigen entstanden ist. „Gott des Lebens! Gott der Solidarität! Was ist da los?“
Neben ihr rief eine andere Stimme, die Psalmbeterin machte die verweinten Augen auf und sah neben sie: Sie war nicht mehr allein. Ihre laute Stimme hatte die Aufmerksamkeit anderer auf sich gezogen. Auch sie waren auf die Knie gegangen und wiegten sich nun. „Gott, wo ist deine Gerechtigkeit? Wo ist dein heiliger Zorn?“ „Lass Feuer regnen über die, die ihre Macht missbrauchen!“ (Psalm 11, 6) Sie stimmten ein in die Hoffnung, dass Gott eingreifen werde.
Dass sich Gottes Gerechtigkeit letztlich durchsetzen würde. Ihre Stimmen und Körper waren für dieselbe Sache und die verband sie.
Die Woge bäumte sich auf- ... und flachte ab. Sie flüsterte nun fast, aber mit fester Stimme:
„Gott, du hörst die Sehnsucht der Unterdrückten. Mach ihre Herzen stark! (Psalm 10,17) Und lass sie dir begegnen!“ (Psalm 11,7b)
Die Psalmbeterin lag auf dem Boden, ihre Stirn berührte den kühlen Stein. Neben sich spürte sie warme Körper. Ihr Atem ging wieder ruhiger, auch ihr Herz-
Insgesamt kehrte eine tiefe Ruhe ein, in den Hof und ihre Brust. Langsam hob sie den Blick uns setzte sich auf, sie nickte den anderen zu und sagte „Amen.“
„Amen“. „Ja, Amen.“ Sagten die anderen und ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie standen auf und setzten sich gemeinsam in Bewegung.
„Gott sei Dank darf ich klagen. Das macht es leichter.“ Sagte einer.
Klimastreik
Der Prophet Jesaja lief drei Jahre nackt und barfuß als Warnung und Zeichen.
Ich schaue mich an.
Drei Pullover habe ich übereinander gezogen, darüber zwei Westen und eine Winterjacke.
Um den Hals vier Schals und drei Stirnbänder habe ich um die Ohren gewickelt. Ich möchte nichts hören von der Krise.
Draußen stürmt es, seit Tagen schon. Ich setze mir einen Hut auf und ignoriere das Wetter.
Mit meinen dicken Schuhen stapfe ich nach draußen.
Ich bin etwas träge durch die vielen Schichten. Meine Hände in den Handschuhen sind nicht mehr so geschickt, fast schon unfähig irgendetwas in die Hand zu nehmen.
Hauptsache ich bin geschützt vor schlechten Nachrichten.
Der Prophet Jesaja lief drei Jahre nackt und barfuß als Warnung und Zeichen.
Ich bin gut eingepackt – ein Pullover schützt mich vor der Angst, der nächste vor der Wut, einer vor zu viel Schmerz und dem Empfinden für Ungerechtigkeit – und die obersten Schichten, ach, die sind nur noch Gleichgültigkeit.
Über meinem Kopf fliegen Zugvögel. Sie wissen nicht so recht, in welche Richtung sie eigentlich fliegen sollen. Wo wird es denn jetzt warm und wo kalt?
Wie schön wäre das, denke ich, wenn ich auch mal wieder etwas frische Luft spüren würde. Da ist noch so eine Ahnung in mir, wie Sonne warm auf meine Haut scheint.
Ich sehe die Menschen um mich herum an. Alle sind dick eingepackt. Niemand scheint sich darum zu kümmern, ob das eigentlich angemessen ist. Passen denn die Mäntel zu den Temperaturen draußen? Vielleicht wäre auch etwas anderes möglich.
Neulich hörte ich eine junge Frau aus Nicaragua sprechen. Sie sagte: Wenn sie die Frauen auf den Dörfern besucht, dann ist das größte Thema der Klimawandel. Schon jetzt ist das Wasser knapp. Was wird in den nächsten Jahren kommen?
Ich löse einen Schal und atme tief durch.
Von den Philippinen höre ich immer wieder: Stürme überfluten die Inseln. Schon jetzt. Was wird in den nächsten Jahren kommen?
Ich ziehe ein Stirnband vom Kopf und höre die Vogelstimmen in den Bäumen.
Das Klima hat sich verändert.
Ich schüttele einen Schuh vom Fuß und berühre das erste Mal seit vielen Jahren die Erde.
Warum hat mir niemand gesagt, dass die Angst vor der Veränderung nicht schwindet, wenn ich noch mehr Pullover darüber quetsche?
Ich ziehe den Reißverschluss meiner dicksten Jacke auf und frage mich: Geht es mir nicht wie den Vögeln? Ich weiß doch auch nicht, wohin ich gehen soll – wo es eigentlich warm ist und wo kalt. Ich habe das Gespür dafür verloren.
Mein Fuß hat sich inzwischen ein Stück in die Erde eingegraben. Sie fühlt sich trocken an.
Ich ziehe zwei Pullover aus und spüre die warme Luft, die mich umgibt.
Der Schutz, nach dem ich suche- ich kann ihn nicht mit Kleidern herstellen. Ich suche meine Wurzeln.
Noch eine Schicht weiter und die Gleichgültigkeit ist verschwunden.
Ich wage es. Ich protestiere gegen das, was normal geworden ist. Ein deutliches Zeichen.
800 Jahre vor Christus in einem kleinen Land zwischen politischen Großmächten- Zeichen des Protests: 3 Jahre nackt und barfuß laufen.
2022 in einem hochprivilegierten Land- Zeichen des Protests: Sich den Problemen stellen.
Hinsehen, zuhören und etwas in die Hand nehmen.
Ein Schutzmantel bleibt mir: Gottes Zusage der Verbundenheit mit seiner Schöpfung. Amen.
Eine politische Andacht
Jede Andacht ist ein kleiner Streik. Wir legen unsere Arbeit nieder und unterbrechen das, was uns als Routine überrollt. Wir versuchen, das was nicht gut ist vor Gott zu sammeln und zu formulieren.
Wir streiken für Klimaschutz und Respekt vor dem was lebt. Wir klagen darüber, dass wir unsere Vorhaben nicht umsetzen. Dass die Flut viele Länder überrollt und noch mehr Länder überrollen wird. Dass sich Feuer ausbreiten. Über zu trockene Böden.
Ich frage mich, wie es Gott dabei geht. Und ich denke, Gott klagt auch. Sie klagt und trauert. Über die ausgestorbenen Arten, die vertrockneten Bäume, die ausgebeutete Erde.
Gott hat die Welt mit Weisheit geordnet. Und wir haben diese Weisheit nicht erkannt. Wir haben es nicht geschafft, in einer guten Beziehung zur Schöpfung zu leben. Wir haben nicht erkannt, dass wir Teil der Schöpfung sind.
"Frau Dummheit ist aufgeregt", so heißt es in einem biblischen Text. "Sie ist die Engstirnigkeit; nie hat sie etwas erkannt."
Es ist unsere Entscheidung. Laufen wir der Dummheit hinterher, oder erkennen wir die Weisheit Gottes;
Den Wert und die Schönheit von jedem Geschöpf.
Gott selbst leidet an unserer Dummheit. Im Kreuz wird das sichtbar.
Eine Rose mit vielen Namen
Sie ist sehr hellgelb mit einem zarten roten Blätterrand. Und sie trägt viele Namen. In Deutschland heißt sie „Gloria Dei“, übersetzt: „Allein Gott sei Ehre“. In den USA wird sie „Peace“ genannt, übersetzt: „Frieden“, und in Italien „Gioa“, das heißt „Freude“. Der Züchter in Frankreich hingegen nannte sie ursprünglich nach seiner Mutter „Madame A. Meilland“. Diese Rose hat nicht nur sehr viele Namen, sondern auch eine besondere Geschichte.
Die offizielle Namensgebung erfolgte zufällig am 29. April 1945, dem Tag des Sturmes der sowjetischen Armee auf Berlin- und damit dem Fall der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. In der Beurteilung zur Namensgebung steht: „Wir glauben, dass sie dazu bestimmt ist, als eine klassische Rose noch in den Gärten unserer Enkel und vieler nachfolgender Generationen zu bleiben. Wir wählen den Namen ‚Peace‘, er soll daran erinnern, wie bitter schwer wir gelernt haben, dass der Frieden für alle Menschen immer lebensnotwendiger wird, dass die Menschheit ihn mit größerer Besonnenheit, Wachsamkeit und Vorsicht erhalten muss, als sie es bisher vermocht hat.“
Von April bis Juni 1945 fand die Gründungsversammlung der Vereinten Nationen in San Franciso statt. 49 Delegationen waren angereist. Der Chef jeder Delegation fand in seinem Hotelzimmer eine Vase mit der Rose „Peace“ vor. Dazu gab es eine Botschaft: „Möge die Rose „Peace“ die Bemühungen der Menschheit um einen gerechten und dauerhaften Frieden unterstützen.“
Die Rose ist sehr hellgelb und hat einen leicht rötlichen Blätterrand. Auf mich wirkt gerade diese Rose, die zum Symbol für den Frieden in der Welt geworden ist, besonders schön und schutzbedürftig.
In vielen christlichen Liedern ist die Rose ein Symbol für Jesus Christus. „Es ist ein Ros‘ entsprungen“, das bekannte Weihnachtslied, ist ein gutes Beispiel dafür. Jesus Christus hat Frieden gestiftet und ist zum Frieden für uns geworden. Er lässt uns daran glauben, dass unser Leben eine bessere Zukunft hat, als wir es jetzt sehen. Im Alten Testament erscheint Gott dem Propheten Mose in einem Dornenstrauch. Hier gibt er die feste Zusage, da zu sein.
Quelle: Anette und Christian Lukesch: „Der christliche Rosengarten in Barth – was Namen erzählen.“, 2020.